Mit Sicherheit pragmatisch
Das passiert, wenn man jemanden vom Computer fernhält: Er studiert Informatik, wird Professor und geht ans Leibniz-Rechenzentrum. Seit 2017 ist Prof. Dr. Helmut Reiser hier stellvertretender Leiter, jetzt wurde er in den Vorstand des Deutschen Forschungsnetzes berufen: ein Portrait.
Ein zufriedener Mensch: Prof. Dr. Helmut Reiser, stellvertretender Leiter des LRZ und Vorstand des Deutschen Forschungsnetzes. Foto: LRZ
Das ist typisch: Zum 60. Geburtstag des Leibniz-Rechenzentrums sollten zwischen den Gebäuden noch die Initialen L, R und Z in bunten Farben erblühen. Für diese Idee suchte Helmut Reiser Mitstreiter:innen und griff selbst zum Spaten. Im Sommer, pünktlich zu den Feierlichkeiten, standen Blüten im Innenhof. Der stellvertretende Leiter des LRZ packt zu, wird vielerorts respektiert, weil er unkompliziert ist und offen. Weil er sympathisch Tacheles – ähhhm: Bayrisch natürlich – redet, manchmal grantelt, öfter lacht, gerne auch über sich selbst. Und weil er Dinge mit Überzeugung, Erfahrung und Kraft voranbringt: „Ich schätze sein pragmatisches und lösungsorientiertes Vorgehen“, sagt beispielsweise Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller, Leiter des LRZ. „Er setzt unsere LRZ-Strategien mit Bodenhaftung und Pragmatismus um.“
Tatkraft gehört zu Reisers Job-Beschreibung und prägt seine Persönlichkeit. Am LRZ verantwortet er die operativen Geschäfte, Pragmatismus lebt er auch als Wissenschaftler aus: „Promovierende und Studierende frag‘ ich immer, was bei ihren Projekten und Arbeiten hinten rauskommen soll oder was sie und wir davon haben“, erzählt der Professor, der wie Kranzlmüller an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) lehrt. „Mir ist wichtig, dass Forschungsthemen einen praktischen Bezug haben, und mir hat es immer gefallen, wenn ich bestehende Anwendungen hinterfragen und verbessern konnte.“
Machen, engagieren, lernen
Fachlich hat sich Reiser auf den Aufbau von Kommunikationsnetzen, Managementsystemen und IT-Sicherheit spezialisiert – Wissen und Erfahrungen, die er seit 2005 ins LRZ einbringt, außerdem ehrenamtlich in Organisationen wie etwa den IT-Beirat der Staatlichen Museen Bayern oder in den Technischen Überwachungsverein (TÜV) Süd und seit 2014 auch in den Betriebsausschuss des Deutschen Forschungsnetzes (DFN). Von diesem Verein, der mit über 10.250 Kilometer Glasfaser Wissenschaft und Forschung in Deutschland zusammenbringt, wurde er gerade in den Vorstand berufen: Für ihn Ehre, Chance, Herausforderung in einem. „Wenn man sich Gedanken für andere macht, lernt man auch was für sich selbst“, sagt der gebürtige Freisinger, „und es ist ja nicht so, dass man immer Ideengeber sein muss.“ Technische Bedürfnisse von 356 unterschiedlichen Mitgliedern – kleine Hochschulen, große Universitäten, akademische Rechenzentren, Forschungsinstitute wie die Max-Planck oder Fraunhofer Gesellschaft mit 76 Einrichtungen – zu befriedigen, diese Leistung ringt Reiser Respekt ab: „Netze sollten universell aufgebaut und nutzbar sein“, sagt er. „Und in der Hinsicht ist das DFN sehr, sehr gut. Es versorgt die kleine Hochschulen ebenso wie Exzellenzuniversitäten mit Standardservices und mit exklusiven, maßgeschneiderten Lösungen.“
Neben Kommunikations- und Internetservices, Cloud-, Kooperations- und Sicherheits-Werkzeugen können Mitglieder Lösungen für besondere Wünsche oder internationale Forschungsprojekte wie LOFAR oder Square Kilometer Array zur Entwicklung und zum Betrieb von (Radio)Teleskopen abrufen: „Spannend, wenn man das Angebot mitentwickeln darf“, freut sich der passionierte Jäger auf neue Aufgaben. „Und in einer Vereinsstruktur können wir ja keine Regeln vorgeben, da müssen die Lösungen von einer Mehrheit der Mitglieder abgesegnet werden.“ Diese Voraussetzungen ähneln denen am LRZ. Das Rechenzentrum betreibt das Münchner Wissenschaftsnetz (MWN) und bietet Forschenden Zugriff auf unterschiedlichste Computer-Ressourcen. Technik und Dienste müssen offen und über nationale Grenzen hinweg zur Verfügung stehen, aber die Nutzung ist nicht durch Verbote zu regulieren. Da kommt Sicherheit und deren Management ins Spiel: Reiser erkannte schon während seines Studiums in den 1990er Jahren, dass IT-Sicherheit den Aufbau zuverlässiger Netze und Systeme sowie deren Management flankieren sollte.
Kontrolle und Motivation für mehr Sicherheit
Am LMU-Lehrstuhl für Kommunikationssysteme und Systemprgrammierung, promovierte Reiser 2001 über Sicherheitsmanagement und verantwortete als Wissenschaftlicher Assistent die IT. Hier wie später auch am LRZ etablierte er Sicherheitsstrategien und
-Maßnahmen. Schritt für Schritt baute der Fachmann ein Team auf, das die LRZ-Netze und -Systeme beständig im Auge behält, Strategien gegen Spam, Hacking und Missbrauch entwickelt und an jeweils neue Risiken anpasst. 2008 habilitierte er über föderiertes Sicherheitsmanagement. Zum Werkzeugkasten des LRZ gehören heute deshalb auch die Zertifikate für Informationssicherheits- und Servicemanagement, für die das LRZ seine Prozesse seit 2019 regelmäßig überprüfen lässt. Und um sich selbst, den Kolleg:innen und externen Prüfinstanzen zu beweisen, dass die Redundanz- oder Doppelstrategie für mehr Sicherheit in der IT sorgt oder ein funktionierendes Gerät sofort die Aufgaben eines ausgefallenen übernimmt, zieht der leidenschaftliche Skifahrer sogar Stecker: „Als IT-Spezialist im Rechenzentrum baut man komplexe Technik zusammen, testet diese Konstrukte aber selten bis nie im Produktivbetrieb. Es herrscht das Prinzip Hoffnung“, beobachtet Reiser nicht nur am LRZ. „Man glaubt an die Ausfallsicherheit, ohne sie überprüft zu haben.“ Eine Inkonsequenz, die er aus unterschiedlichsten Perspektiven erforscht und erkunden lässt und die auf der Liste seiner Veröffentlichungen und der von ihm betreuten Dissertationen breiten Raum einnimmt.
Sicherheit im Alltags-und Praxistest: Dafür zieht Reiser zuweilen Stecker, auch auf die Gefahr hin,
dass viele Kolleg:innen Abstürze fürchten. Foto: A.Podo/LRZ
Mitarbeitende und Kolleg:innen mögen Reisers klare, wertschätzende Kommunikation und Stressresistenz. „Beim Reiser“, heißt es oft, „weiß man, woran man ist.“ Das liegt erstens daran, dass er gut zuhört, und zweitens an der Art, wie er in bestem Bayrisch Ideen kommentiert. „Guad“ heißt Gut, nach einem tief überzeugten „des is a Schmarrn“ muss keine:r mehr weiterdiskutieren. Das kritisch-kurze „so“, alternativ das fragende, lange „naaaa“ sind als Aufmunterung zu verstehen, mehr Argumente zu einem Sachverhalt zu liefern; und ein „guad, dass dieser Punkt jetzt geklärt ist“ beendet müßige Diskussionen. „Menschen sind mir wichtig und ein gutes Klima im Team“, beschreibt Reiser seine Führungsprinzipien. „Jede:r soll sich entfalten können, wie er oder sie es will. Es bringt doch nix, Druck zu machen, das allerbeste ist intrinsische Motivation.“ Dass dies außerdem eine gute Basis für Sicherheit und Zuverlässigkeit ist, weiß der Experte selbstverständlich.
Neugier und die Faszination für Netze
Forscher, Professor, in der Leitung des LRZ – Reiser hat es mit seiner Energie, Gradlinigkeit und Überzeugungskraft sehr weit gebracht. 1967 wird er in Freising geboren. „Keiner aus unserer Familie ging aufs Gymnasium“, erzählt er, „meine Noten in Deutsch waren außerdem nicht die allerbesten.“ Nach der Mittleren Reife folgt die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten: „An den einzigen Computer, den es bei der Kommune gab, ließ man mich nicht ran“, so Reiser, „mich hat mehr interessiert, wie diese Kiste funktioniert, als die Berechnungen und Ausdrucke, die darauf erstellt wurden. Hätte ich was kaputt gemacht, hätten tausende Bescheide nicht verschickt werden können.“ Eine Kollegin auf dem Amt, die aus der ehemaligen Tschecheslowakei geflohen war und studiert hatte, ermutigt seine Wissbegier und zeigt neue Perspektiven auf. „Sie hat mich inspiriert und gefördert, der zweite Schub kam durch den Zivildienst im Krankenhaus und der dritte Anstoß, das Abitur nachzumachen und zu studieren, kam von meiner Frau“, erinnert sich Reiser. „Wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, weiß ich nicht, ob ich den Mumm dazu gehabt hätte.“ Auch seine Mutter unterstützt sein Lernen tatkräftig.
Nach dem Abitur schreibt sich der Familienmensch an der Technischen Universität München (TUM) für Informatik und Theoretische Medizin ein. „Wie heute noch musste man ein Anwendungsfach zur Informatik belegen“, sagt er. „Ich hab ziemlich breit studiert und mich nicht festgelegt.“ In den 1990er Jahren breitet sich das Internet in Deutschland aus. Kommunikationsnetze waren zu der Zeit ein Hype-Thema wie heute Künstliche Intelligenz (KI) und lassen den angehenden Informatiker nicht kalt: „Wie man Kommunikationsnetze verlässlich und so aufbaut, dass sie skalieren, dass hohe Bandbreiten und schnelle Reaktionszeiten oder Antworten möglich sind und dass solche Rieseninfrastrukturen sicher administriert werden, das hat mich sofort fasziniert“, meint Reiser, und: „Neugier treibt mich an und interessante, spannende Projekte.“ Allerdings war der Einzige, der sich mit diesem Thema beschäftigte und dieses auch prüfte, Prof. Heinz-Gerd Hegering, damals Leiter des LRZ, Lehrstuhlinhaber der LMU, Dozent der TUM – und unter den Studierenden eher verrufen: „Der hatte ein strenges User Interface, ich wollte mich von ihm eigentlich nicht prüfen lassen, aber ich musste mich auf dieses Selbstmordkommando einlassen“, sagt Reiser und lacht. Er hat es nicht bereut, denn daraus wuchs eine fruchtbare Arbeitsbeziehung: Bei Hegering konnte der junge Forscher praktische IT analysieren, der Mentor ließ sich wiederum durch Reisers Argumente von der Relevanz der IT-Security überzeugen, holte ihn erst an seinen Lehrstuhl und später ans Rechenzentrum, wo er vom Gruppen-, zum Abteilungsleiter und bis an die Spitze aufstieg.
Ratgeber und Sparringspartner
Dort teilt er sich nun seit 2017 die Leitung mit Dieter Kranzlmüller. Beide bezeichnen ihr Verhältnis als konstruktiv, inspirierend, offen. „Es ist gut jemanden an der Seite zu haben, bei dem man sich einen Rat holen kann“, sagt Reiser, der die direkte Kommunikation und die klare Aufgabenteilung schätzt. Zusammen entwickeln die LRZ-Leiter Strategien und Visionen, doch während Kranzlmüller das LRZ nach außen präsentiert und sich um (internationale) Forschungskontakte kümmert, setzt Reiser Planungen um: „Er weiß unglaublich gut, wie administrative Prozesse funktionieren, wo bei Projekten und Aufgaben Fallstricke lauern“, meint Kranzlmüller, „und ist ein hervorragender Sparringspartner, mit dem ich mich gerne austausche.“
In der Rolle als Ratgeber ist er auch unter Studierenden und in unterschiedlichen Initiativen geachtet: „Ich kenne Helmut Reiser schon seit Jahren, schätze sein technisches Wissen“, sagt Harald Kosch, Professor der Universität Passau und Leiter des noch neuen Digitalverbunds Bayern, wo Hochschulen gemeinsame IT- und Sicherheitsstrategien verfolgen. „Er hat mir einige sehr wichtige Ratschläge bei schwierigen Entscheidungen gegeben.“ Helmut Wünsch, Leiter Kommunikationssysteme des Regionalen Rechenzentrums der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (RRZE) ist Reiser dankbar, dass er ihm seit seinem ersten Tag mit Rat und Tat zur Seite steht und bis heute aktiv mit Ideen unterstützt. Zurzeit koordinieren beide den Aufbau einer schnellen Datenverbindung zwischen dem RRZE und dem LRZ, auch das soll der IT-Sicherheit dienen und die bewährte Zusammenarbeit verbessern: „Ich mag Reisers sympathische, unkomplizierte Art, er hat Humor, lockert Verhandlungen auf und arbeitet trotzdem konsequent an den Zielen“, meint Wünsch.
Ähnlich wie am LRZ will Reiser als DFN-Vorstand in den nächsten Jahren das Servicespektrum des Vereins breiter aufstellen: „Es geht jetzt von Netzen und Technik hin zu mehr Diensten“, stellt er fest. Im Persönlichen ist der Familienmensch schon länger angekommen: „Ich hab mir meinen Traum schon erfüllt“, sagt er mit einem Lachen, „ich bin an der Stelle, wo ich mich sehr wohlfühle.“ (vs/LRZ)