Quantencomputing in den Wissenschaftsalltag bringen
Quantencomputer müssen gekühlt werden, damit Qubits zur Ruhe kommen. Dafür sind die sehenswerten Kryostaten da. Foto: IQM
Die Weichen für die Zukunft sind gestellt: „Im Quantencomputing sind wir an elf unterschiedlichen Projekten zur Erforschung der neuen Prozessoren, zur Entwicklung von Softwarestacks und Programmierumgebungen sowie zur Integration des Quanten- ins Supercomputing beteiligt“, freut sich Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller, Leiter des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ). „Der praktische Umgang mit der Zukunftstechnologie wird spannend und bietet viele Herausforderungen für Forschung und Entwicklung.“ Auch in Zukunft sollen wachsende Datenmengen möglichst in Echtzeit ausgewertet werden, das High Performance Computing (HPC) braucht neue Konzepte, um Rechenkraft weiter zu erhöhen und das Computing für mehr Energieeffizienz zu beschleunigen: „Quantencomputing als Beschleuniger könnte ein nächster Entwicklungsschritt für das Hochleistungsrechnen werden“, stellt Dr. Martin Schulz, Professor für Informatik an der Technischen Universität München (TUM) sowie LRZ-Direktor, in Aussicht. „Die Integration von Quanten- in Supercomputer sowie das Zusammenspiel von HPC, Künstlicher Intelligenz und Quantum könnte für den notwendigen Leistungsschub sorgen.“
Quantum as a Service für die Forschung
Quantencomputing elektrisiert zurzeit Politik und Forschung. Rechnen Wissenschaftler:innen und Unternehmer:innen mit besseren Verfahren für die Datenanalyse, hofft die Politik in Europa und Deutschland darauf, wieder eine Führungsposition in der Informationstechnologie und zudem „Digitale Souveränität“ zu erreichen. Und so fließen gerade Milliarden in Forschungs- und Förderprojekte sowie Initiativen, mit denen die Zukunftstechnologie in den nächsten Jahren zur Praxis- und Marktreife gebracht werden soll. Als Einrichtungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BADW) haben das LRZ und das Walther-Meißner-Institut mit den beiden Münchner Universitäten sowie Forschungseinrichtungen und Technologieanbietern das Munich Quantum Valley (MQV) mitgegründet. Außerdem starteten am Rechenzentrum im letzten Jahr neue Forschungsprojekte rund ums Quantencomputing. Gebündelt werden alle Aktivitäten nun im Quantum Integration Centre (QIC). „Wie bei allen Technologien geht es dem LRZ auch beim Quantencomputing darum, zuverlässige IT-Dienstleistungen für Wissenschaft und Forschung bereitzustellen. Bei der Verarbeitung größter Datenvolumina sind Supercomputer seit jeher stark gefordert, wir werden daher Quantenprozessoren und -Komponenten in unsere Hochleistungs-Systeme integrieren, ihre Arbeitsweise erforschen und Services entwickeln,“ so Kranzlmüller.
Sie haben zwar das Experimentierstadium verlassen, doch Quantencomputer arbeiten noch weitgehend unter Laborbedingungen: Um Quantenbits, die kleinsten Recheneinheiten stabilisieren und steuern zu können, sind Störungen wie Temperaturschwankungen, Erschütterungen oder Lichteinfall zu vermeiden. Rechen- und insbesondere Supercomputing-Zentren bringen daher die Zukunftstechnologie als Quantum-as-a-Service zu den Anwender:innen. Nur sie können die notwendigen technischen Einrichtungen und damit die Bedingungen schaffen, unter denen Qubits die Zustände 1 und 0 sowie Zwischenzustände annehmen, sich miteinander verschränken und Rechenkraft erbringen. Jedes zusätzliche Qubit kann die Leistung verdoppeln.
„Die ersten Quantencomputer benötigen eine Rechnerinfrastruktur mit bewährter Steuerung, um die Ergebnisse zu kontrollieren oder Software und Daten aufzuspielen“, nennt Schulz die Gründe, warum Quanten- nun in Supercomputer eingebettet werden. „Wir sollten die Quantencomputer so in die Supercomputer einbinden, dass die Maschine durchläuft, ohne dass ein Mensch daneben sitzen und kontrollieren muss.“ Um mit Quantencomputing komplexe Faltungen von Proteinen zu analysieren, Transportwege zu berechnen und diese Zukunftstechnologie breit einzusetzen, fehlen noch Werkzeuge zur Steuerung, ein Betriebssystem, Programmierumgebungen, Firmware und Software Stacks. Und so stellen nun Supercomputer die Kontrollmechanismen für die neuen Prozessoren, damit notwendige Tools und Software in Kooperationen von Forschung und Unternehmen entwickelt werden können.
Durch Supercomputer in den Einsatz
Betriebssystem und Software stehen folglich im Mittelpunkt der Projekte des LRZ. Im Munich Quantum Valley planen sie einen Munich Software Stack für Quantencomputer. Doch zunächst konzentrieren sich die Bemühungen auf die Integration eines Quantenprozessors in die LRZ-Supercomputer: Für das Projekt „Quantencomputer-Erweiterung durch Exascale-HPC“, kurz: Q-Exa, hat das LRZ im November 2021 mit Mitteln vom Bundesministerium für Bildung und Forschung das erste Quantensystem oder -Demonstrator in Deutschland vom deutsch-finnischen Unternehmen IQM angeschafft. Dieses wird über einen Prozessor mit 20 Qubits verfügen, der auf supraleitenden Metallen basiert und mit einem Kryostat auf Minus 273 Grad gekühlt wird. „Q-Exa ist ein Schlüsselprojekt für unsere Aktivitäten im QIC und innerhalb des Munich Quantum Valley“, berichtet Kranzlmüller. „Durch die Zusammenarbeit in diesem äußerst wettbewerbsfähigen Konsortium können wir europäische Standards setzen, die auch weltweit wettbewerbsfähig sind.“
Quanten-Demonstrator von IQM. Foto: IQM
Auch wenn der Prozessor noch entwickelt wird, planen die Quanten-Spezialist:innen am LRZ bereits, wie der Computer mit den HPC-Ressourcen verbunden wird. Nützliche Hilfe bietet dabei die Quantum Learning Machine (QLM), die vom französischen Technologieanbieter Atos stammt. Daran können Forschende nicht nur Algorithmen fürs Quantencomputing entwickeln und Simulationsdaten verarbeiten, mit diesem Quantensimulator lassen sich vor allem erste Codes und Schnittstellen entwickeln, über die binäre Chips mit den universellen Quantencomputern zusammenarbeiten – die Grundlage für alle weiteren Entwicklungen: „Viele Vorarbeiten, die zur Integration des Quanten- in den Supercomputer nötig sind, lassen sich an der QLM erledigen“, sagt Schulz. „Die QLM ist ein Vehikel, um Forschenden und Informatiker:innen frühzeitig Zugriff zu geben, bevor die echte Hardware verfügbar ist.“ Neben supraleitenden Metallen wird für die Herstellung von Qubits auch mit Ionenfallen, Photonen oder sogar Diamanten experimentiert. Welche Technologie sich durchsetzt, ist nicht sicher. Bei Q-Exa werden daher Voraussetzungen erarbeitet, weitere Quantenprozessoren ins HPC einzubetten. „Durchaus möglich“, meint der Informatiker Schulz, „dass sich dabei spezielle Einsatzbereiche für unterschiedliche Systeme herauskristallisieren – es bleibt äußerst spannend.“ Werden Quantencomputer einmal durch Supercomputer gesteuert, wäre ein großer Schritt in Richtung Praxistauglichkeit gemacht und ließen sich weitere Komponenten oder Software konstruieren und konfigurieren. Dafür laufen die Arbeiten am LRZ und bei seinen Forschungspartnern bereits an.
Doch nicht nur das Quantencomputing soll in die Nutzung kommen, durch die Anstrengungen soll umgekehrt das Supercomputing gepusht werden: „Durch die Kombination der leistungsfähigsten Computer mit dem Potenzial der Quantencomputer“, meint Kranzlmüller, „erwarten wir den nächsten großen Sprung im Höchstleistungsrechnen.“ Am LRZ hoffen sie darauf, dass Quantencomputer wie Acceleratoren wirken, im Zusammenspiel mit Methoden der Künstlichen Intelligenz mittelfristig kompliziertere Berechnungen ermöglichen – und vor allem Dienstleistungen für die Forschung: „Wissenschaftler brauchen Programmiermodelle“, meint Kranzlmüller noch. „Sie brauchen Software Stacks, Zugangsmechanismen über Web- oder Cloud-Portale. Und vor allem brauchen sie Unterstützung um ihre wissenschaftlichen und industriellen Fragestellungen auf Super- und Quantencomputern zu optimieren.“ (vs)
Quantencomputing nutzbar machen
Aktuelle Quanten-Projekte mit Beteiligung des LRZ.
• Quantencomputer-Erweiterung durch Exascale-HPC, Q-Exa: Mit Mitteln des BMBF hat das LRZ einen Quantenprozessor mit 20 Qubits von IQM beschafft. Er soll mit Unterstützung von Unternehmen in die nächste Supercomputing-Generation integriert werden.
• Digital-analoge Quantencomputer, DAQC: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den Aufbau und die Integration eines supraleitenden Quantensystems, das digitales und analoges Quantencomputing mischt. Dabei kooperiert das LRZ mit den Technologieunternehmen IQM, Infineon und ParityQC, außerdem mit dem Forschungszentrum Jülich und der Freien Universität Berlin. Ziel ist ein digital-analoger Prozessor mit Kalibrier- und Steuerungsmechanismus, der als Beschleuniger in eine HPC-Umgebung integriert wird.
• Munich Quantum Valley, MQV: Als Standort für Spitzentechnologie fördert Bayern das Quantencomputing und die Ausbildung von Spezialisten. Zum MQV haben sich LRZ und Walther-Meißner-Institut, die Ludwig-Maximilian-Universität und die Technische Universität München, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die Fraunhofer- und die Max-Planck-Gesellschaften sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zusammengeschlossen. Das LRZ engagiert sich in den Projekten Q-DESSI und QACI: Dabei soll ein Software-Stack für Quantencomputer samt Programmierumgebung entstehen, außerdem die Anbindungen von Quantensystemen an Supercomputer.
• Munich Quantum Valley Quantum Computers, MUNIQC-SC und MUNIQC-Atoms sind ebenfalls Initiativen des MQV. Geplant wird die Entwicklung von Quantenprozessoren: ein 100-Qubit-Prozessor mit supraleitenden Schaltkreisen sowie ein 400-Qubit-Prozessor auf Basis von Strontium-Atomen. Mit den Computern sollen Programmierumgebungen entstehen, die eine Integration in HPC-Ressourcen ermöglicht.
• Bayerisches Kompetenzzentrum für Quantensecurity und Data Science, BayQS: Mit Fraunhofer-Instituten und den Münchner Universitäten erarbeitet das LRZ Plattformen und Software zur Nutzung von Quantencomputing.
• Quantum-enabling Services und Tools für industrielle Anwendungen, QuaST: Gefördert vom Freistaat Bayern beschäftigt sich das BayQS-Konsortium außerdem mit Anwendungssoftware und Qualifizierungsangeboten.
• Efficient Quantum Curcuit Simulation on Exascale System, QuantEx: Bereits 2020 gestartet, lotete dieses Projekt des Irischen Supercomputing-Zentrums ICHEC und des LRZ aus, wie die Anzahl von Qubits und ihren Verschränkungen auf die Rechenkraft wirkt.
Prof. Dieter Kranzlmüller, Leiter des LRZ, und Dr. Jan Goetz, IQM, beim Start von Q-Exa. Foto: IQM