Die Modell-Pflegerin

bayern

Der Umweltatlas Bayerns zeigt blau gestrichelt Überschwemmungsgebiete, besonders viele entlang der Donau. Diese Karte basiert auf den Daten unter anderem von LARSIM. (https://www.umweltatlas.bayern.de/)

Schnee, Hagel, Regen – im Schnitt fallen in Bayern rund 940 Millimeter Niederschlag pro Jahr, das sind auf den gesamten Freistaat gesehen rund 66 Milliarden Kubikmeter oder 66 Billionen Liter Wasser. Wenn’s im Frühjahr taut oder im Herbst stark regnet, wächst die Gefahr von Überschwemmungen und Hochwasser: Ivana Jovanovic-Buha kennt solche Wasserdaten aus dem Effeff und weiß noch viel mehr zum Wasserstand in Bayern. Seit 2018 beschäftigt sich die Informatikerin mit der Hydrologie Bayerns. Zurzeit überprüft sie mit mathematischen Methoden und mit Hilfe der Hochleistungscomputer des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) die Software und Tools, mit denen zum Beispiel das Landesamt für Umwelt (LfU) seine Prognosen zu Hochwasser erstellt oder Maßnahmen zur Wasserwirtschaft plant. Diese sollen noch detaillierter und genauer werden, dazu müssen aber die bislang zugrunde liegenden Modelle überarbeitet und enthaltene statistische Unsicherheiten quantifiziert werden: „In hydrologischen Modellen gibt es viele Unsicherheiten“, erklärt Ivana. „Aber zu den meisten Punkten gibt es viele Messwerte, und mit diesen können wir die Unsicherheiten Schritt für Schritt minimieren.“

Rechnen für bessere Software und Applikationen

Das ist keine Aufgabe für Geologie oder Hydrologie, die Modellpflege ist Sache von Informatiker:innen mit Hang zur Mathematik – Wissenschaftler:innen wie Ivana also: Sie promoviert gerade bei Prof. Dr. Hans-Joachim Bungartz am Lehrstuhl Wissenschaftliches Rechnen der Technischen Universität München (TUM), ihr Fach verbindet Mathematik und Informatik. Ivana beziffert mit ihrer Arbeit das Ausmaß statistischer Unsicherheiten und entwickelt Formeln, Gleichungen und Algorithmen, um nachzurechnen und diese Unsicherheiten zu minimieren. Danach optimiert sie noch die Algorithmen, damit Super- und andere High Performance Computer diese schneller, effizienter, flüssiger ausführen. Was also in diesem Fall Bayern und seinen Einwohnern exaktere Überschwemmungsprognosen und dem LfU eine bessere, modernere Software beschert, ist für die junge Wissenschaftlerin im Grunde eine spezielle Fingerübung für Gleichungen und Formeln. Die Hydrologie ist nur ein Gebiet, die Wissenschaftlerin könnte ihr Wissen ebenso gut auf Daten zu Motoren, aus Geologie und weiteren Naturwissenschaften, der Medizin anwenden. „Mir gefällt es, an Dingen zu arbeiten, die real, praktisch und nützlich sind“, sagt sie mit einem Lachen. „Dann schiebe ich nichts auf, kann kreativ sein, Lösungen entwickeln, außerdem lese ich mich dann auch gerne in Theorien aus Forschungsdisziplinen wie Hydrologie ein und versuche, neue Modelle zu entwickeln.“ Auf diese Mischung aus Theorie und Praxis hofft Ivana nach ihrer Promotion – bis spätestens Sommer 2023 soll ihre Arbeit vorliegen. Wahrscheinlich wird sie diese eher nicht im akademischen Bereich suchen, sondern zunächst lieber in Unternehmen oder Startups einbringen, die an ähnlich nah an Alltagsfragen und technischen Problemen arbeiten wie das LfU oder das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Umweltthemen sind spannend, aber auch für technische Fragen fühlt sich die Informatikerin bestens gerüstet.

Ihre Ausbildung ist daher breit angelegt: Nach dem Bachelor in Elektrotechnik an der Universität Belgrad – sie entwickelt dafür ein Modell zur Erkennung und Klassifizierung von Lungenkrebs – kommt sie nach Deutschland und schreibt sich an der TUM für Computational Science and Engineering, eine Mischung aus angewandter Mathematik, Informatik und Technik, ein. „Für den Master wollte ich nach Schweden oder Deutschland“, erzählt sie. „Die TUM stand wegen dieser Mischung diverser Forschungsbereiche weit vorne auf der Wunschliste für Deutschland, für meinen Mann war sie die erste Wahl, so bin ich hier gelandet.“

Komplexe Zusammenhänge verständlich erklären

Schon im ersten Master-Semester fällt Ivana mit ihren Leistungen positiv auf und wird in die Bavarian Graduate School of Computational Engineering (BGCE) aufgenommen. Teil dieses Eliteprogramms ist die Teilnahme an einem längeren Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Industrie. „Die Teilnahme am BGCE-Programm war ein wichtiger Wendepunkt für mich“, sagt Ivana. „Es verschaffte mir einen besseren Einblick in wissenschaftliche Themen, brachte mir viele neue Kontakte und Verbindungen, und ich wurde Stipendiatin des Deutschlandstipendiums. Nicht zuletzt förderte das Programm die Beziehung zum Lehrstuhl von Professor Bungartz, wo ich heute promoviere.“ Für ihre Abschlussarbeit beschäftigt sie sich bei Siemens mit Methoden der Künstlichen Intelligenz und entwickelt Deep-Learning-Modelle zur Auswertung von 3D-Punktwolken-Datensätzen – eine Technik, die für die Robotik und beim autonomen Fahren relevant ist, etwa um den Maschinen Orientierungspunkte im Raum und Szenarien für ihre Wege oder Aufgaben mitzugeben.

Am Lehrstuhl Wissenschaftliches Rechnen lehrt sie nun als Dozentin wissenschaftliches Programmieren und Simulieren und erforscht gleichzeitig in den Hydrologie-Projekten fürs LfU ihr eigentliches Thema, die Quantifizierung von Unsicherheiten in komplexen Modellen. „Forschung und Lehre ist nicht immer einfach miteinander zu vereinbaren, aber der Lehrstuhl ist gut organisiert, wir bekommen klar umrissene Aufgaben und gewinnen dadurch Freiräume für die Forschung“, sagt sie. „Ich lehre gerne, wenn ich anderen Themen wie angewandte Mathematik oder numerische Methoden erkläre, lerne ich selbst noch dazu, außerdem übe ich, mich selbst verständlich auszudrücken.“ Das Training wirkt. Anhand von Grafiken und Bildern erklärt Ivana ihre Aufgaben. Sie gestikuliert beim Sprechen, macht Theorie an Alltäglichem fest, erklärt lebhaft, temperamentvoll ihre Arbeit, und oft blitzt Humor durch die Beschreibungen. Ganz offensichtlich mag Ivana das, was sie tut. „Sie kann komplexe Themen und Zusammenhänge veranschaulichen und verständlich erklären“, meint auch Wolfgang Kurtz, promovierter Geo-Ökologe, der als Projektmanager am LRZ lange im bayerischen Hydrologie-Projekt HydroBITS mit Ivana Jovanovic-Buha zusammenarbeitete und mit ihr Bachelor- und Master-Arbeiten betreute. Er hebt besonders ihr Fachwissen, die schnelle Auffassungsgabe hervor und ihr Engagement, das weit über Aufgaben hinausgeht: „Eine sehr schöne Kooperation, weil wir wirklich gemeinsam und ohne Silo-Denken an den Hydrologiethemen gearbeitet haben, das war keine reine Zweckgemeinschaft, sondern fand immer in einer sehr professionellen, vertrauensvollen und menschlich äußerst angenehmen Atmosphäre statt“, so Kurtz. „Und Ivana brachte sich und ihre Erfahrungen immer wieder auch in unsere, das heißt die LRZ-Themen ein, brachte zum Beispiel die Visualisierung von hydrologischen Daten mit Hilfe von Dashboards oder den Aufbau von Datenanalysetools voran.“

Modellieren, validieren und Unsicherheiten eingrenzen

Das Ziel von HydroBITS war die Analyse und Optimierung bestehender IT-Strukturen bei Institutionen der Wasserwirtschaft in Bayern und beim Hochwasser-Nachrichtendienst. Dafür wurden die Modelle für die Simulationen, die aus Informationen wie Pegelständen, Niederschlägen, Feuchtigkeit im Boden entstehen, aber auch die Weiterverarbeitung von Ergebnissen sowie das Datenmanagement überprüft und verbessert. Im Mittelpunkt von Ivanas Aufgaben stand dabei das „Large Area Runoff Simulation Model“, kurz LARSIM, ein hydrologisches Modell oder ein Programm, das Daten zu Wasserhaushalt und Umwelt Bayerns sammelt, bereitstellt und diese stündlich aktualisiert. Mit LARSIM erarbeitet der Hochwassernachrichtendienst Lageberichte und Warnungen, das LfU nutzt die Daten zum Planen von Maßnahmen. Mit weiteren Tools entstehen aus diesen Daten Grafiken oder dreidimensionale Landkarten von Bayern, die Entwicklungen sichtbar machen, etwa die Auswirkungen von Starkregen auf Flüsse, Bäche, Kommunen. „Für meine Arbeit experimentiere ich mit Algorithmen und entwickle neue, um – in diesem Fall – die Unsicherheiten in Umwelt- und Wassermodellen beziffern zu können. Dabei setze ich auf numerische Techniken, etwa die mathematische Erweiterung von Werten oder datenarme Gitter“, erläutert Ivana.

Wie sich Wasser in größeren Gebieten wie Bayern verteilt, wird in hydrologischen Modellen dargestellt. Dazu werden unterschiedlichste Informationen wie etwa der Niederschlag, der Grundwasserpegel sowie Daten zu Bodenqualitäten und Landschaften gesammelt. Nicht alle dieser Parameter können genau gemessen oder geschätzt werden. Wieviel Regen fällt, kann nicht an jedem Punkt Bayerns aufgenommen werden. Um solche Wissenslücken oder Ungenauigkeiten auszugleichen, müssen Forschende oft mit Durchschnitts- und Näherungswerten arbeiten – aber in ihnen liegen die Unsicherheiten eines Modells. „Ich betrachte das zugrunde liegende Modell als Black Box und gehe von einigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die Modellparameter aus. Dann verwende ich viele Stichproben, um erstens meine Annahmen zu validieren und zweitens um mein Verständnis des Modells sowie der Beziehungen zwischen den einzelnen Parametern zu verbessern. Auf diese Weise kann ich Unsicherheiten besser isolieren und das Ergebnis Schritt für Schritt verbessern“, erklärt Ivana. „Die Zukunft ist sicher nicht vorhersehbar, aber es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sich das Wetter oder die Niederschläge ähnlich entwickeln wie in den vergangenen Jahren.“ Indem sie Messdaten oder Kriterien leicht verändert, erstellt Ivana Varianten eines Modells. Diese Rechenarbeit überlässt sie dem CoolMUC-Cluster am LRZ, das teils 25 bis 48 Stunden für sie arbeitet. Und die Unterschiede in den Ergebnissen machen wiederum Abweichungen offensichtlich – diese können dann quantifiziert, der Algorithmus danach optimiert werden. Als Ergänzung und zur Pflege klassischer Modelle wie LARSIM arbeitet die Forscherin außerdem mit so genannten datengesteuerten Modellen, für die smarte Systeme oder neuronale Netze Informationen, etwa über den Wasserhaushalt und die Landschaften Bayerns, verarbeiten, daraus Muster lesen und aus diesen Erkenntnissen oder Prognosen liefern.

Projekt HydroBITS befindet sich in der Endphase und soll bis März 2022 abgeschlossen sein. Aus den Simulationen entstand ein Prognosetool mit übersichtlichem Dashboard und effizienten Datenströmen. Nebenbei gewann Ivana die Erkenntnisse, die sie jetzt für ihre Doktorarbeit aufarbeiten, diskutieren und bewerten wird. Entspannung findet sie beim Joggen und Wandern, auch beim Kochen oder wenn sie Musik hört. Sie favorisiert Klassik oder Mainstream-Jazz. Ihre Zukunft ist offen, aber klar ist, dass sie einmal Familie und Arbeit vereinbaren wird. Sie orientiert sich dabei an Karen Willcox, promovierte und habilitierte Luft- und Raumfahrtingenieurin: Sie nimmt als Direktorin des US-amerikanischen Oden Institutes for Computational Engineering and Science eine Führungsposition ein, hat sich als Wissenschaftlerin einen Namen gemacht und ist außerdem Mutter. „Für mich durchaus ein Role Model“, sagt Ivana. So gesehen wird von Ivana noch Einiges zu lesen und zu hören sein. (vs)

ivana

ivana2

Ivana Jovanovic-Buha in den Bergen  und mit Bernd Sibler, bayerischer Minister für Wissenschaft und Kunst, bei der Aufnahme ins bayerische Eliteprogramm


Mehr Forschende und Wissenschaftler:innen, die Sie sich merken sollten:

Elisabeth Mayer, LRZ: Informatik und Medien/Kunst

Amir Raoofy, TUM: Informatik und High Performance Computing (HPC)

Mohamad Hayek, LRZ: Informatik und Datentransfer

Sophia Grundner-Culeman, LMU: Kryptografie

Bengisu Elis, TUM: Computational Science und Supercomputing

Daniëlle Schumann, LMU: Quantencomputing