2021-03-02-Wahl des Lenkungsausschusses
„Rechenzeit sollte für sinnvolle Wissenschaft verwendet werden“
Erfahrung zählt: Zum dritten Mal wurde Prof. Dr. Peter Bastian von der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg zum Vorsitzenden des Lenkungsausschusses am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) gewählt. Bastian leitet am Interdisziplinären Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) die Arbeitsgruppe „Paralleles Rechnen“: „Wir entwickeln vor allem effiziente und robuste Methoden zur Lösung bestimmter Gleichungssysteme“, beschreibt er deren Aufgabe. Bastians Stellvertreter ist Prof. Dr. Gerhard Wellein von der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, zugleich Sprecher des Kompetenznetzwerkes Technisch-Wissenschaftliches Hoch- und Höchstleistungsrechnen in Bayern (KONWIHR). Der Lenkungsausschuss wird alle zwei Jahre gewählt und setzt sich aus insgesamt 15 Wissenschaftler:innen zusammen, die das LRZ und sein Mutter-Institut, die Bayerische Akademie der Wissenschaften, sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) vertreten. Das Gremium komplettieren zwei beratende Mitglieder. Zwar werden die Großprojekte für den SuperMUC-NG, die Large-Scale-Aufgaben ab 45 Millionen Core-Stunden im Jahr, über das Netzwerk des Gauss Centres for Supercomputing (GCS) vergeben. Doch der LRZ-Lenkungsausschuss verlängert Rechenzeiten und bewertet den wissenschaftlichen Nutzen von Forschungsarbeiten die unter dieser Grenze liegen. Im vergangenen Jahr waren das rund 70 Anträge.
Der Lenkungsausschuss begutachtet, welche wissenschaftlichen Arbeiten auf dem SuperMUC-NG gerechnet werden: Gibt’s darüber oft Diskussionen im Gremium?
Prof. Dr. Peter Bastian: Nein, in der Regel nicht. Jedes Mitglied im Lenkungsausschuss verantwortet einen eigenen Bereich. Die Obmänner beauftragen Gutachten von Externen und erstellen daraus einen Fördervorschlag. Der Vorsitzende des Lenkungsausschusses und sein Stellvertreter sind außerdem Mitglieder der Rechenzeitkommission des Gauss Centre for Supercomputing (GCS), in der die Large-Scale Anträge begutachtet werden. Dort allerdings gibt es schon Diskussionen, und das ist auch gut so.
Wieviele Arbeiten pro Jahr bewertet der LRZ-Lenkungsausschuss? Bastian: 2020 waren es gut 70 Anträge, davon 20 Großprojekte, die über das GCS liefen. Hinzu kommen noch gut 30 kostenneutrale Rechenzeit-Verlängerungen, die von den Obmännern ohne Gutachten entschieden werden können.
Momentan wird der Umgang mit Leerzeiten am SuperMUC-NG diskutiert. Ohne Begutachtung vom Lenkungsausschuss geht aber gar nichts – wie will das Gremium die Lücken füllen? Bastian: Das LRZ muss pro Jahr eine bestimmte Menge Strom (nun, physikalisch korrekt ist es eine Energie. Die Einheit ist kWh.) von seinem Versorger abnehmen, um einen günstigen Preis zu erhalten. Andernfalls wird eine hohe Sonderzahlung fällig. Leerzeiten zu füllen, spart also Geld. Sie entstehen am SuperMUC-NG, wenn Platz für große Jobs geschaffen wird. Diese Lücken können nur von bestimmten Arbeitsaufträgen beansprucht werden, die bisher auf dem SuperMUC-NG nicht verfügbar sind. Die Idee ist, die technische Seite zunächst mit einem ausgewiesenen Abnehmer zu testen. Funktioniert das, könnte hier ein (begrenztes) Angebot entstehen, trotzdem sollte die Rechenzeit natürlich für sinnvolle Wissenschaft verwendet werden.
Rechnen Sie eigentlich auch selbst an unseren Maschinen? Bastian: Nein, meine Arbeitsgruppe entwickelt vor allem effiziente und robuste Methoden zur Lösung bestimmter Gleichungssysteme. Derzeit ist da weniger die Nutzung sehr vieler Prozessoren eine Herausforderung als das Erreichen hoher Rechenleistung auf einer CPU oder GPU. Daher genügen uns die Rechner vor Ort.
Als Professor beurteilen Sie sowieso Forschungsarbeiten, Promotionen an Ihrem Lehrstuhl – warum auch noch die, die im LRZ-Lenkungsausschuss auftauchen? Bastian: Nun, die gegenseitige Begutachtung von Forschungsarbeiten ist von zentraler Bedeutung. Die Arbeit als Obmann ist sehr spannend, weil man tolle Forschungsarbeiten zu sehen bekommt.
Sie kennen den SuperMUC, aber nun auch den SuperMUC-NG: Haben sich die Forschungsprojekte an den beiden Rechner verändert – in welche Richtung? Bastian: Die Projekte haben sich etwas in Richtung Festkörper- und Quantenphysik verschoben. Das lässt sich allerdings weniger mit dem Wechsel von SuperMUC zu SuperMUC-NG begründen, die Architekturen sind ja sehr ähnlich, sondern mit einer Neubeschaffung in Jülich. Vorübergehend stand weniger Rechenleistung zur Verfügung.
Angesichts neuer Quantencomputer-Technik gilt HPC in manchen Kreisen schon fast als altmodisch. Wird Quantencomputing das Supercomputing bald ersetzen? Bastian: Quantencomputer sind sicher eine spannende Entwicklung, allerdings wird dieser Ansatz erstmal für bestimmte Anwendungen von Vorteil sein, etwa Aufgaben der diskreten Optimierung, Quantenchemie oder Kryptographie. Es wird ganz schön lange dauern, bis man damit die Umströmung eines Flugzeugs, die Verbrennungsvorgänge in einem Motor oder den Grundwasserhaushalt in Südbayern simulieren kann. Der SuperMUC-NG wird also nicht so schnell überflüssig werden.
Mit wem würden Sie gerne einmal über HPC diskutieren und warum? Bastian: Mit den meisten Kolleginnen und Kollegen kann ich ja auf Konferenzen diskutieren, aber wenn ich im Himmel mit dem Mathematiker John von Neumann, einem der Väter des wissenschaftlichen Rechnens, reden könnte, wie er den von-Neumann-Rechner konzipierte, welche Möglichkeiten er für Computer gesehen hat und wie die Technik sich tatsächlich entwickelte, wäre das sehr spannend. (Interview: vs/LRZ)
Prof. Dr. Peter Bastian, Universität Heidelberg
Prof. Dr. Gerhard Wellein, Friedirich-Alexander-Universität, Erlangen