Schlauer werden auf Umwegen
Wenn's mit dem Studium nicht vorangeht, kann eine Ausbildung Alternativen bieten. Das LRZ bildet Fachinformatikerinnen aus. Foto: Adobe
Vom Studium zur Ausbildung und zurück zum Studium: Cristian Buschermöhle nimmt für seine Ziele gern Umwege – weil sie ihn schlauer und erfolgreicher machen und mit vielen spannenden Menschen zusammenbringen.
Offener Blick, fröhliches Lächeln, fester Händedruck: Cristian Buschermöhle ist hundertprozentig präsent. Reagiert sofort auf sein Gegenüber. Beantwortet erste Fragen, stellt selbst welche, kommentiert Gesagtes, und es geht schnell tiefer, ins Politische und auch ins Persönliche. Er ist informiert, belesen, vielinteressiert. Es fällt nicht schwer, gemeinsame Themen mit ihm zu finden oder sich in seiner Gegenwart wohl zu fühlen. Das schätzen auch die Kolleginnen und Kollegen am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ): „Cristian ist eine der nettesten Personen, die ich kenne“, sagt beispielsweise Alkin Sarikaya, der mit Cristian vor Kurzem seine Ausbildung zum Fachinformatiker Systemintegration beendet hat. „Am meisten mag ich, dass er offen und hilfsbereit ist, gerne Informationen und Lebensweisheiten teilt. Er hat mir bei IT-Fragen extremst geholfen, mich aber auch bei Themen wie Politik oder Geschichte und Soziales weitergebracht.“
Auszeichnung für Bestnoten und soziales Verhalten
Für Ausbildung und Prüfungsergebnisse gab’s eine glatte Eins. Diese Note brachte Cristian viel Lob ein, außerdem eine Auszeichnung der Regierung von Oberbayern, bei der insbesondere sein Einsatz „für die Integration von Mitschülerinnen und Mitschülern“ gewürdigt wurde. Zu viel der Ehre, wie der frischgebackene Fachinformatiker glaubt: „Dass ich helfe, wenn ich kann, ist doch selbstverständlich“, sagt er achselzuckend. „In meiner Berufsschulklasse habe ich eine Marokkanerin unterstützt, die hat mich fasziniert – die hatte ihr Land verlassen, weil sie nach acht Schuljahren mehr lernen wollte, und sprach sechs Sprachen. Dieser Ehrgeiz, diese Suche fand ich bemerkenswert.“ Auf dem gemeinsamen Heimweg erklärte er also Fachwörter und Lerninhalte, unterstützte bei Fragen zur Arbeit und Ausbildung und bekam im Gegenzug viele Geschichten aus langen Wanderjahren von Marokko über Spanien, Frankreich, Rumänien, Italien bis nach Deutschland erzählt.
Cristian Buschermöhle (re) bei der Ehrung in der Städtischen Berufsschule München
für Fachinformatik Systemintegration. Foto: BS FISI
Das erlebe er oft, geben hieße ja auch zurückbekommen, und sowieso sei die Unterstützung von Migrantinnen Teil seines Lebens und daher kein Thema: 1995 in Hamburg geboren und zweisprachig mit einem Vater aufgewachsen, der von Brasilien nach Deutschland gekommen war, formulierte er schon als Kind Briefe an Behörden und Ämter mit oder half bei beim Ausfüllen von Anträgen: „Mein Vater spricht sehr gut Deutsch, aber das Schreiben fällt ihm schwerer.“ Daneben wanderte auch die IT im Haus in die Verantwortung von Cristian. Schon in der sechsten Klasse, mit 12 baute er sich seinen ersten Computer zusammen und kümmerte sich danach um Modem, Internet- und Telefonanschluss. „Mein Vater meinte, Computertechnik brauche man nicht, und er ist auch heute noch der Meinung, das Internet gehört abgeschafft“, sagt Cristian und lacht. „Aber so durfte ich mich zuhause um die IT kümmern und ich war sehr hinterher, wenn es um neue Router und anderes Zubehör ging.“ Erzählt er von seiner Kindheit, von der Faszination für IT und Technik oder für die „die Nullen und Einsen und die kleinen Ströme, mit denen dann Unmengen von Informationen und Daten bewegt werden“, dann erstaunt es schon, dass bei der Berufswahl Informatik oder Elektrotechnik gar nicht zur Debatte standen: „Ich hab das nie als etwas Besonderes gesehen, IT war Alltag“, meint er nachdenklich. „Hätte ich anders darüber gedacht, wäre ich wahrscheinlich gleich in diesen Bereich gegangen und hätte Informatik oder sowas studiert.“
Schlecht beraten, harter Start
Auf Empfehlung der Berufsberatung belegt Cristian nach Abitur und längerer Asienreise jedoch Ingenieurswesen. Die guten Noten in Mathe und Physik sprechen dafür, das Fach würde gute Perspektiven und diverse berufliche Einsatzfelder öffnen. „Ingenieur – das klang irgendwie nach Goethes Faust und nach der Frage nach dem, was die Welt zusammenhält“, meint Cristian, „neugierig bin ich, ich will Neues auf diesem Planeten entdecken und gerne wissen, wie Dinge funktionieren.“ Die Technische Universität München (TUM) lockte den Hamburger mit ihrem weltweit guten Ruf, für den interdisziplinären Elite-Studiengang sollte es mehr Punkte geben und nicht zuletzt waren Schulfreunde schon nach München voraus gezogen: viel Motivation für einen Studienstart in München und im Ingenieurswesen.
Trotzdem kam es anders: „Das Mechanische war nicht meins, es war zu formel- und zahlenlastig“, so der Fachinformatiker. Selbst ein Wechsel zu den Wirtschaftsingenieurinnen konnte die Lust am Lernen, Lesen, Wissen sammeln nicht wirklich befördern, obwohl Cristian Durchhaltevermögen bewies, jahrelang weiter studierte, bis er sich zum Abbruch durchrang. Eine Alternative zum Studium bot das LRZ: Dort hatte Cristian am Service Desk angeheuert und Geld fürs Studium verdient. Als er den Job kündigte und dabei nebenbei anmerkte, er suche nun eine Stelle oder Lehre, hatte er sofort einen Ausbildungsplatz sicher. „Das war schon eine große Umstellung“, berichtet der IT-Spezialist, der gerne am Computer spielt oder beim Lesen von Fantasy-Schmökern entspannt. „Auf einmal hatte ich wieder Sportunterricht und andere Fächer, man hat zwar keine Hausaufgaben, und die Berufsschule findet etwa alle drei Monate zwei Wochen statt, aber ich fühlte mich richtig jung.“
In 19 Monaten schloss er die Ausbildung ab. Bei Ausbilderinnen und Vorgesetzten hinterließ er nachhaltig Eindruck: „Ich bin beeindruckt von seiner Offenheit und Ehrlichkeit“, sagt etwa Eda Seval-Munke, Leiterin des LRZ Servicedesks. „Cristian sprach Probleme direkt an und war immer interessiert an Lösungen, das ist konstruktiv, professionell und hat maßgeblich zu einem positiven Arbeitsklima beigetragen.“ Sie schätzt zudem den Teamgeist des gebürtigen Hamburgers, der auch Ausbilder Alessandro Podo positiv auffiel: „Bei allen Aufgaben hat Cristian nicht nur für sich gedacht, sondern auch an die Gruppe. Bei den Azubi-Projekten hat er sich überlegt, wie Aufgaben geplant und dokumentiert werden, so dass alle vom geteilten Wissen profitieren konnten.“ Darüber hinaus kommen analytisches Denken, gezieltes Vorgehen und eine akribische Suche nach Informationen bei den Anderen gut an.
Passendes Studium gefunden
Zu erwarten ist, dass er in den nächsten Jahren weiterhin das Internet durchstreift, immer auf der Jagd nach Meldungen über Servertechnologien und IT-Sicherheit: „Das sind und waren meine Lieblingsthemen während der Ausbildung, und deshalb ist es toll, dass ich am LRZ im Windows-Server-Betrieb gelandet bin“, sagt er. „Da geht’s ja auch darum, wie ich Server vor Angriffen schütze.“ Sogar in seiner Freizeit sucht er gerne nach Meldungen zu Sicherheitsvorfällen oder Zero-Day-Exploits, Nachrichten über Schwachstellen, die Hacker oder Cyberkriminelle ausnutzen, um IT zu kompromittieren oder Daten abzugreifen. „Ist doch spannend, wenn wie bei Crowdstrike im letzten Sommer durch eine fehlgeschlagene Software-Aktualisierung massenhaft Rechnersysteme abstürzen“, so Cristian. „Ein kleiner Fehler kann so Großes bewirken.“
Um noch besser zu verstehen, wie IT und insbesondere Betriebsstörungen, Ausfälle und Angriffe funktionieren, wird Cristian bald wieder studieren. Zusammen mit Kollege Alkin Sarikaya will er sich an der Hochschule Wismar zum Fernstudium der IT-Forensik einschreiben: „System- und Sicherheitslücken aufzuspüren, bevor andere sie ausnützen können – dafür rumexperimentieren und analysieren, das ist mein großer Traum.“ Dass ein Kollege und Freund mitstudieren wird, wird die Sache vereinfachen: „Lesen über Theorien oder Lernen ist nicht so meins, und neben dem Job wirklich an einem Studium dranzubleiben, das wird sicher schwer“, so Cristian. „Aber wenn du das mit jemandem teilen kannst, entsteht positiver Druck, du kannst dich und den anderen nicht hängen lassen.“ Geben und Nehmen eben, Alkin indes meint, „das Studium wird für Cris ein Spaziergang, ich hoffe, dass ich weiter von seinem Wissen profitieren kann, und mein Job wird sein, dass ich ihm bei Dingen wie Unterhaltung, Disziplin und Aufmunterung beistehe.“
Es scheint, als sei Cristian angekommen und hätte nach einigen Umwegen jetzt sein persönliches Einsatzfeld entdeckt: „Umwege sind gar nicht schlecht“, resümiert er die letzten Jahre. „Wer geradeaus auf ein Ziel hinrennt, kriegt so wenig mit im Leben, ich habe so viele Leute und ihre Geschichten kennengelernt und konnte daraus für mich selbst lernen.“ (vs/LRZ)
Cristian Buschermöhle, Fachinformatiker am LRZ