Der LRZ-Beirat: Wissenschaftler:innen beraten das Rechenzentrum
Der LRZ-Beirat berät das Direktorium, ist aber vor allem ein lebendiges Kontaktnetzwerk in viele Forschungsdisziplinen und regt Projekte an. Foto: Alina Grubnyak/Unsplash
Aufsicht und Anregung – im Beirat des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) fließt beides zusammen. „Hier sind verschiedene Interessensgruppen vertreten“, sagt Prof. Dr. Arndt Bode, Beirat, bis 2017 Leiter des LRZ und Inhaber des Lehrstuhls Rechnertechnik und -Organisation und Vizepräsident der Technischen Universität München (TUM). „Die Vertreter:innen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften nehmen eher allgemeine Aufsichtspflichten wahr, die anderen beaufsichtigen das Direktorium in Aspekten der Nutzung und rund um die Dienstleistungen.“ In diesem Jahr feiert das akademische Rechenzentrum, ein Institut der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BADW), zudem Digitalisierungspartner für Hochschulen und Forschungsinstitute sowie Supercomputing-Zentrum, seinen 60. Geburtstag: eine Gelegenheit, sich mit der Organisation und ihrer Geschichte zu befassen.
Im Dialog mit Forschenden bleiben
30 Professor:innen bilden den LRZ-Beirat, sie werden für fünf Jahre in das Gremium berufen oder gewählt. Vier Beirät:innen entsendet die BADW, jeweils fünf die Münchner Universitäten. Aktuell vertritt Prof. Dr. Gerhard Wellein von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg außerdem die bayerischen Hochschulen. Daneben gehört der Leiter des LRZ-Direktoriums, Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller, dem Beirat an. Und diese 16 Beirät:innen wählen weitere 10 Wissenschaftler:innen ins Gremium, das zurzeit vier Ehren-Beiräte komplettieren. „Für die Münchner Universitäten spielt das LRZ eine zentrale Rolle als IT-Dienstleister, in manchen Instituten stehen gar keine eigenständigen Rechner mehr, sondern Clients, die mit dem LRZ verbunden sind und von ihm betreut werden“, erklärt der Beirat und Informatiker Prof. Dr. Martin Wirsing, ehemaliger Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). „Außerdem entwickelt sich die Computertechnik und damit der Betrieb von Rechnern so schnell weiter, das Direktorium und das LRZ müssen im Dialog mit Forschenden und Lehrenden bleiben.“ Im Beirat sind Professor:innen wie Ralf Ludwig (LMU), Hans-Peter Bunge (LMU), Hans-Joachim Bungartz (TUM) oder Daniel Rückert (TUM) zu finden, die sich mit datenintensiven Forschungsdisziplinen in den Lebens- und Geowissenschaften oder mit wissenschaftlichem Rechnen und Simulationen beschäftigen und daher regelmäßig die Hoch- und Höchstleistungsrechner des LRZ beanspruchen. Beiräte wie Wirsing oder Dr. Sigmund Stinzing, aktuell Vizepräsident der LMU, vertreten indes die Dozent:innen und jene Nutzungskreise, die die Digitalisierung von Hochschulen vorantreiben und dazu IT-Dienste brauchen. Mit Prof. Dr. Stefan Dech vom Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) ist schließlich noch ein Partner des LRZ präsent, mit dem das Rechenzentrum die Hochleistungs-Plattform terrabyte zur Analyse von Satellitendaten betreibt und der dazu Forschung und Wissenschaft Informationen zur Erkundung der Erde sowie von Naturphänomenen zur Verfügung stellt.
In der Geschichte des LRZ ist der Beirat eine junge Runde, die sich aber bis zu den Gründungstagen 1962 zurückverfolgen lässt. „Der Beirat wurde nach einer Satzungsänderung 2016 eingeführt und ging aus der Kommission für Informatik hervor“, erzählt Dr. Heinz-Gerd Hegering, emeritierter Professor der LMU, ehemaliger Leiter des LRZ und sein engagierter Chronist. „Organisatorisch sollte mit dieser Umstrukturierung die Exekutive, das Direktorium, von seiner Aufsicht getrennt werden.“
Der Beirat ersetzt die Kommission, die erstmals am 5. März 1962 tagte und zu der neben 12 Wissenschaftlern die Gründer des LRZ, der Mathematiker Robert Sauer sowie der Elektrotechniker Hans Piloty, gehörten. Aufgabe: das seit 1960 geplante Rechenzentrum zu realisieren. Dass dieser Ausschuss, der das Direktorium des LRZ bestellte, sich immer wieder umbenannte, zeigt den Funktionswandel und Technikgeschichte: In den Tagen des TR4, des ersten deutschen Großrechners von Telefunken mit rund 170 Kilobyte Kern- oder Arbeitsspeicher stand das „elektronische Rechnen“ am LRZ im Mittelpunkt. 1975 – rechneten Forschende auf der R440 mit 800.000 Operationen pro Kern – war die „Informationsverarbeitung“ wichtig: „Das LRZ verfügt über eine Doppelprozessoranlage TR440“, heißt es damals im Jahrbuch der BADW, „die aber höchstens ein Drittel des derzeitigen Rechenbedarfs im Münchner Hochschulbereich decken kann.“ 15 Jahre später ist das LRZ zum Hochleistungszentrum avanciert, in der Barer Straße stehen universelle Cyber-Systeme von Control Data Corporation, auf die Nutzer:innen aus der Ferne zugreifen, die Kommisssion trägt nun „Informatik“ im Namen. 2006 wird das LRZ nationales Supercomputing-Zentrum, zehn Jahre später modernisiert es seine Organisation und Geschäftsordnung – und aus der Kommission für Informatik wird der Beirat.
Fachaustausch und Forschungsinhalte fürs LRZ
Dieser hat ähnliche Funktionen wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft. Während aus der Wirtschaft immer wieder von Streitigkeiten zwischen Vorständen und Kontrolleur:innen berichtet werden, diskutieren Beirat und Direktorium mindestens einmal im Jahr über IT-Services, Entwicklungen in der Computertechnologie, interessante Forschungsprojekte oder Personalien. Aus der Mitte des Beirats werden die Direktoren des LRZ berufen, zusammen mit der BADW seine Leitung bestellt. „Bisher ist es noch nie passiert, dass der Beirat eine Entwicklung nicht vernünftig fand“, erinnert sich Bode, immerhin seit 1994 in Kommission und Beirat. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass er sehr nah dran ist an der realen Nutzung der technischen Ressourcen des LRZ.“ Außerdem sehen sich die Beirät:innen nicht nur als Kontrollinstanzen, sondern viel lieber als Netzwerker in alle Bereiche der Wissenschaft und als Ideengeber. „Spannender ist es doch, Forschung zu unterstützen und ans LRZ zu ziehen“, sagt Wirsing. Seine persönlichen Kontakte brachten das Projekt „Lernen mit digitalen Zeitzeugen“ (LediZ) ins Haus. Dafür wurden die Gespräche mit Überlebenden des Holocausts aufgenommen und digitalisiert, so dass nun Hologramme eindrücklich vom (Über)Leben in der Nazizeit erzählen. „LediZ ist doch ein wunderbares Projekt“, so Wirsing weiter, „das zeigt, dass das LRZ nicht nur den Natur- und Lebens-, sondern auch den Geistes- wissenschaften helfen kann.“
Neue Forschungsinhalte konfrontieren das LRZ mit weiteren Bedürfnissen. Das verändert Gremien wie den Beirat, unnötig ist er nicht: „Man bräuchte vier, wenn nicht sogar mehr Controller, um die Arbeit der ehrenamtlichen Beiräte zu ersetzen“, sagt Bode. „Die Services des LRZ wurden modifiziert, sein Dienstleistungskatalog erweitert, heute stehen Themen wie Future- und Quantencomputing auf der Agenda oder die Arbeit im europäischen Verbund. Forschung lebt von technischen Neuerungen, ein Beirat ist daher Bedingung, um auch in Zukunft anwendungsorientiert zu bleiben.“ Auch Wirsing setzt auf den Dialog zwischen Nutzer:innen und Rechenzentrum. Er prognostiziert, dass sich der Beirat vor allem durch Technik für Künstliche Intelligenz und deren Methoden öffnen wird. „In Zukunft werden wir uns stärker der Aufbereitung, Nutzung und Speicherung von Daten widmen“, sagt der Informatiker. „Algorithmen, maschinelles und tiefes Lernen – das sind Themen, die nun auch Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften erreichen. Das wird das Spektrum des LRZ-Beirats weiter ausdifferenzieren und vorantreiben.“ (vs)