„Neue Qualität im HPC für Wissenschaft und Forschung“
Computerknoten am SuperMUC-NG: Durch das Programm Nationales Hochschulrechnen differenziert sich die Supercomputing-Landschaft in Deutschland weiter aus. Foto: V. Hohenegger/LRZ
Mehr Arbeit für die Supercomputer an Universitäten: Leistungsstarke Rechnersysteme werden nicht mehr nur für datenintensive Modellierungen und Simulationen in den Natur- oder bei den Ingenieurwissenschaften gebraucht. Immer neue Forschungsbereiche an Hochschulen setzen auf High Performance Computing (HPC), um mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz Mess- und Bilddaten auszuwerten und in Big Data Muster zu entdecken. Bereits 2015 regte der Wissenschaftsrat, ein Beratungsgremium für Bundesregierung und Länder zu Fragen in Wissenschaft, Forschung und dem Hochschulbereich, das Programm für das „Nationale Hochleistungsrechnen“ (NHR) an. Ausgewählte Rechenzentren an Universitäten sollen ihre Hardwarekapazitäten sowie Beratungs- und Bildungsangebote im Bereich Supercomputing gezielter ausbauen können. Das NHR wird nun zehn Jahre lang mit jährlich knapp 63 Millionen Euro durch Bund und Länder finanziert. Inzwischen sind die NHR-Zentren (s. Tabelle) ausgewählt, sie gründeten 2021 den NHR-Verein, der die Aufgaben und die Finanzierung koordiniert und eine gemeinsame Online-Plattform für die Anträge von Rechenzeit aufbaut. Durch das NHR differenziert sich die deutsche Landschaft des wissenschaftlichen HPC weiter aus. Der NHR-Verein besteht aus neun universitären Rechenzentren. Zu den drei Vereinsvorständen gehört Professor Dr. Gerhard Wellein, der das Zentrum für Nationales Hochleistungsrechnen Erlangen (NHR@FAU) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) leitet und außerdem zum Beirat des LRZ gehört. Im Interview mit dem LRZ beschreibt er Aufgaben und Organisation des NHR – und wie Forschende Rechenkapazitäten beantragen.
Wie wurden die NHR-Zentren ausgewählt? Wellein: Durch eine Ausschreibung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wurden potenzielle Rechenzentren vorsortiert. Dabei spielten vorhandene Rechenkapazitäten und Betriebsinfrastrukturen ebenso eine Rolle wie Fachkompetenzen im HPC, Ausbildungsangebote, kompetente Benutzerberatung sowie ausgewiesene Forschungsschwerpunkte in den Anwendungsdisziplinen. Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), in der Bund und Länder die Wissenschaftsförderung ausrichten, benannte einen Strategieausschuss mit Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft, der das NHR-Auswahlverfahren begleitete und die neun NHR-Zentren empfahl. Er wird auch weiterhin das NHR Programm begleiten. Aus Bayern gehört ihm übrigens Professor Dr. Dieter Kranzlmüller vom Leibniz-Rechenzentrum an. Bis Mai 2021 war auch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Mitglied. Dass in Bayern eine Säule dieser neuen nationalen HPC-Infrastruktur stehen sollte, war von Beginn an Wunsch der Forschenden und des Staatsministeriums. Der Freistaat hat daher die HPC-Entwicklung in Erlangen und schließlich die Bewerbung der FAU kräftig unterstützt.
Die meisten der NHR-Zentren gehören auch der Gauß-Allianz an, die ebenfalls das Supercomputing in Deutschland fördert. Ist sie Partnerin oder Konkurrentin? Wellein: Alle NHR-Zentren werden natürlich weiterhin in der Gauß-Allianz mitwirken. Die Gauß-Allianz ist viel breiter aufgestellt, dort wirken alle drei Zentren des Gauss Centre for Supercomputing oder GCS und andere universitäre sowie außeruniversitäre Einrichtungen wie das Deutsche Klimarechenzentrum, das Deutsche Elektronen-Synchrotron Desy oder das Rechenzentrum der Max-Planck-Institute mit. Wir sehen die Gauß Allianz als Partnerin zum Austausch zwischen den HPC-Zentren in Deutschland und als eine zentrale Informationsplattform. Viel eher lässt sich das NHR mit dem GCS vergleichen. Beide Organisationen oder, genauer gesagt, die darin organisierten Zentren tragen die nationale HPC-Infrastruktur, die Forschenden in Deutschland offensteht. Dabei decken die Kollegen vom GCS den Spitzenbedarf ab während die NHR Zentren anspruchsvolle Projekte in der Breite bedienen. Generell ist aber das Supercomputing in Deutschland noch deutlich breiter aufgestellt und wird von vielen lokalen Rechenzentren, Instituten oder Forschungsgruppen geprägt, die die Grundversorgung mit Rechenleistung abdecken. So ergibt sich eine große Vielfalt, die die Gauß Allianz bestens abbildet.
Wie arbeitet NHR mit diesen Organisationen zusammen? Wellein: Der NHR-Verein wurde im August 2021 gegründet. In der Aufbauphase kooperieren wir mit beiden Verbünden – zum einen um Doppelstrukturen zu vermeiden und zum anderen um eine Kohärenz und Durchgängigkeit bei der Nutzung der HPC-Systeme sicherzustellen. Zum Management von Antragsstellung und für die Vergabeprozesse von HPC-Ressourcen wird das NHR wie das GCS die Software JARDS benutzen. Das Grundsatzpapier zur Rechenzeitvergabe im NHR wurde unter Leitung von Professor Dietmar Kröner entwickelt, der wiederum seit Jahren das Verfahren des GCS als Vorsitzender des Lenkungsausschusses leitet. Die Vorstände von NHR und GCS werden sich regelmäßig austauschen. Die GA informiert über Veranstaltungen und Lehrangebote von NHR und GCS. Auch bei den Planungen zum Auftritt bei der nächsten ISC-Konferenz arbeiten NHR, GCS und GA eng zusammen, um gemeinsame Programme auch räumlich nah präsentieren zu können. Auf persönlicher Ebene gibt es ebenfalls viele Verschränkungen innerhalb der drei Organisationen. Durch das NHR wird die HPC-Landschaft in Deutschland weiter ausdifferenziert – eng verzahnt mit allen nationalen Spielern.
Für das NHR haben sich die Universitäten Frankfurt, Mainz, Kaiserslautern und des Saarlands zum Konsortium Süd-West zusammengeschlossen. Erwarten Sie mehr solcher Vereinigungen? Wellein: Tatsächlich sind solche Konzentrationsbewegungen von Rechenzentren zurzeit vor allem auf Länderebene zu beobachten und aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Die Wissenschaft braucht Rechenkapazität heute nicht nur für datenintensive Simulationen, auch Künstliche Intelligenz und das maschinelle Lernen fordern hohe Leistungen. Gleiches gilt für Fachberatung und Training. Landesweit verteilte Ressourcen und Kompetenzen sollten daher koordiniert und gezielt weiterentwickelt werden, um allen Nutzer:innen der Region zur Verfügung zu stehen, NHR und GCS sind dann für höhere Anforderungen bundesweit verfügbar. Die Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen gehen seit einigen Jahren in diese Richtung. Forschende und Wissenschaft haben so Zugriff auf verschiedene Technologien und breite Expertise. Um dieses Ziel zu erreichen, geht Bayern einen anderen Weg. Mit der Verankerung des LRZ in GCS und des FAU im NHR ist Bayern in beiden HPC-Verbünden eng eingebunden – mit dem KONWIHR, dem Kompetenznetz für wissenschaftliches Hochleistungsrechnen unterstützen wir in Bayern Forschende, Rechner und Erfahrungen an den nationalen Zentren nutzen zu können.
Die NHR-Zentren
NHR-Zentrum |
Standort(e) |
Zugang zu Rechenzeit |
NHR4CES@RWTH |
Aachen |
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NHR4CES@TUDa |
Darmstadt |
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NHR@Göttingen |
Göttingen |
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NHR@Zuse |
Berlin |
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NHR@FAU |
Erlangen |
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NHR@KIT |
Karlsruhe |
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NHR@TUD |
Dresden |
tu-dresden.de/zih/hochleistungsrechnen/zugang
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PC2 |
Paderborn |
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Konsortium Süd-West |
Frankfurt, Kaiserslautern, Mainz, Saarland |
https://www.rz.uni-frankfurt.de/hrz?legacy_request=1 |
Pro Jahr stehen dem NHR-Verbund 62,5 Millionen Euro zur Verfügung – reicht das aus? Wellein: Finanzplanungen sind in Zeiten starker Strompreisanstiege und zerbrechlichen Lieferketten herausfordernd. Die NHR-Zentren sind in gewissem Rahmen flexibel bei den Ausgabeposten. Höhere Energiekosten und teurere Hardware bedingen jetzt aber eine Neugewichtung von verfügbaren Kapazitäten, Services und Ausbildungsangeboten. Ein wesentliches Ziel des NHR-Vereins ist der Austausch zwischen den Zentren, um ihre Planungen so anzupassen, dass wir deutschlandweit mit dem Budget eine optimale Versorgung mit Hardware und Methodenkompetenz bieten können. Hier zeigt sich die Stärke solcher Verbünde. Daher bin ich zuversichtlich, dass die Politik weiterhin an diesen Zielen festhält und die HPC-Kompetenzen in Deutschland stärkt. Das enthält einen klaren Bildungsauftrag. Auch angesichts der Notwendigkeit, jetzt skalierbare Software für die nächste Generation der Exascale-Supercomputer zu entwickeln, hoffen wir, dass weiterhin Förderprogramme zur Erforschung und Implementierung von HPC-Anwendungen aufgelegt werden. Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler:innen und deren Projektergebnisse sind wichtig für die effiziente Nutzung der Hardware der Zukunft.
Die NHR-Zentren sollen der Wissenschaft Hochleistungsrechen-Kapazitäten zur Verfügung stellen: Können Forschende diese schon beantragen? Wo? Wellein: Ähnlich wie beim GCS haben Forschende aller deutschen Hochschulen die Möglichkeit, das NHR zu nutzen. Aktuell baut das NHR eine Online-Plattform auf, über die Rechenzeitanträge gestellt und verwaltet werden. Bis sie zur Verfügung steht, nehmen die neun NHR-Zentren Anträge aus ganz Deutschland an. Um Doppelstrukturen zu vermeiden, haben sie thematische und technische Schwerpunkte gebildet und werden daher Anträge bei Bedarf und nach Rücksprache austauschen, damit Wissenschaftler:innen die für sie besten Systeme nutzen können. Dabei konzentriert sich das GCS vor allem auf sehr große Forschungsprojekte, die 25, 30 Millionen Core-Stunden und mehr benötigen. Der NHR Verbund siedelt sich darunter an. Das sind keine scharfen Grenzen, aber sie geben eine Orientierung, wo sich geeignete Ressourcen finden. Da NHR und GCS auf vergleichbare Antragsverfahren setzen, werden auch hier bei Bedarf Projekte an den passenden Verbund verwiesen.
Physik, Chemie, Materialwissenschaften sind traditionell Fachbereiche mit hohen Datenvolumina. In welchen anderen Disziplinen sehen Sie zurzeit wachsenden Bedarf? Wellein: Der Schwerpunkt der Anwendungen des NHR@FAU liegt aktuell bei atomistischen Simulationen, sie werden in verschiedenen Disziplinen wie Physik, Chemie, Biologie, Medizin und Materialwissenschaften gebraucht. Neben den klassischen Fachbereichen steigt bei uns zurzeit der Bedarf vor allem in der Medizin und in der Medizintechnik. Das liegt sicher daran, dass die FAU die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizin, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften strukturell förderte und das Exzellenzcluster „Engineering of Advanced Materials“ einrichten konnte. An der FAU, aber auch an vielen anderen NHR-Zentren sehen wir, dass die Nachfrage nach Rechenkapazität in den Geistes- und Sozialwissenschaften steigt. Dies ist vor allem den Methoden des maschinellen Lernens geschuldet, die in fast allen NHR-Zentren neue Fachbereiche und Wissenschaftsdisziplinen an die Rechenzentren bringen.
In den Geistes- und Sozialwissenschaften, in Biologie oder Medizin gehört HPC noch nicht zum Alltag. Wie werben Sie für das HPC in diesen eher computertechnikfernen Fachbereichen? Wellein: Noch entstehen bei uns neue Projekte meist durch persönlichen Austausch, also ein Lehrstuhl oder ein Forschungsinstitut erkennt ein computertechnisches Problem und sucht bei der Informatik oder beim Rechenzentrum der FAU Rat und Lösung. Oft wächst dann schnell die Komplexität der Anwendungen, und erste HPC-Infrastrukturen kommen ins Spiel. Bestes Beispiel ist ein Projekt aus der Lingusitik, das computergestützt den Zusammenhang von Sprache und Gestik erforscht und in den letzten Jahren zu einem der größten Anwender der HPC-Ressourcen der FAU wurde. Wie an der FAU werden an vielen Universitäten gerade in den Digital Humanities, den digitalen Geisteswissenschaften, Kooperationen mit den Rechenzentren aufgebaut, um neue Aufgaben anzugehen. Werden die Zentren frühzeitig in Projekte eingebunden, können sie spezifische Workshops und Trainings für Forschende in diesen neuen HPC-Disziplinen entwickeln. Ein Ziel des NHR ist natürlich, die Einbindung neuer Nutzungsgruppen zu fördern.
Was ist Ihr größter Wunsch für den NHR in den nächsten 5 Jahren und was muss dafür jetzt getan werden? Wellein: Wenn der NHR bis dahin deutlich mehr als die Summe seiner Teile ist, haben wir viel geschafft. Aus dem Verein soll ein lebendiger Verbund wachsen, der im HPC, bei Hard- und Software sowie Aus- und Weiterbildung eine neue Qualität für Wissenschaft und Forschung bringt. Das verlangt von den Partner:innen im NHR-Verbund, sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren, gelegentlich über ihren Schatten zu springen und geschätzte Aufgaben an andere Zentren zu delegieren, weil sie dort besser vorangetrieben werden. So kann sich das NHR zum bundesweiten Verein mit verteilten Kompetenzen entwickeln – das mögen einige durchaus als Risiko sehen, für mich ist das aber eine große Chance. (vs)
Prof. Dr. Gerhard Wellein, Vorstand NHR und Leiter des NHR@FAU in Erlangen