Ein offener Kompass fürs Internet

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Die Zahlen machen nachdenklich: Etwa 77 Millionen Menschen in Deutschland suchen tagtäglich bei Google Informationen im Internet. Die Suchmaschine erreicht in Deutschland einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Das ist in Europa und weltweit ähnlich. Der nächste Konkurrent, Bing von Microsoft, erreicht in Deutschland weniger als 10, weltweit indes knapp 3 Prozent der Internetnutzer:innen. Ein einziges Unternehmen sorgt folglich für Orientierung im Netz. Entscheidet mit seinen geheimen Algorithmen, welche Informationsangebote wo in der Rangfolge der Ergebnisse gelistet werden. „Die Algorithmen und Datenpools großer Suchmaschinen sind undurchsichtige Boxen, wir wissen nicht, welche Filter zu den Ergebnissen führen, die wir präsentiert bekommen, und auch nicht, was die Unternehmen mit unseren Daten tun“, stellt Stefan Voigt, promovierter Geograf und Vorstand der Open Search Foundation (OSF), fest und fordert: „Das Internet muss offen kartiert werden.“

Gemeinsam nachhaltig rechnen

Die gemeinnützige Organisation, die 2017 startete und für die sich inzwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen, auch Unternehmen und Nutzer:innen in Deutschland und Europa stark machen, arbeitet an einem offenen Suchindex fürs Internet. Mit dabei: das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ). „Ein wichtiger Partner für die Open Search Foundation“, wie Christine Plote, Gründungsmitglied der OSF, berichtet: „Die Computer-Ressourcen des LRZ rechnen bereits an der offenen Kartei fürs Internet. Die beste Lösung gegen die Dominanz bestehender Suchmaschinen ist Vielfalt.“

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Diese soll mit dem neuen Suchindex entstehen. Er macht transparent, welche Informationen aus dem Web er aufnimmt und wie Ergebnislisten zustande kommen. Mit dieser Landkarte fürs Internet ließen sich Alternativen zu Google & Co, innovative Services und Geschäftsmodelle entwickeln. „Die Open Search Foundation rannte mit dieser Idee bei uns offene Türen ein“, sagt Prof. Dr. Dieter Kranzlmüller, Leiter des LRZ. „Wir machen uns für Open Science stark und bauen unsere Dienste bevorzugt auf Open Source-Software auf, da passt Open Search prima ins Konzept. Das Internet wurde als offene Kommunikationsinfrastruktur gebaut, diese Offenheit muss bei Kernaufgaben wie der Suche erhalten bleiben.“ Wie Kranzlmüller engagieren sich einige LRZ-Mitarbeitende persönlich bei der OSF und tüfteln an Konzepten oder Technologien.

An der Technik für die offene Kartei des Internets wird schon gearbeitet. Erste Suchagenten oder Crawler wurden entwickelt, Pläne für Infrastrukturen zum Management von Archiven oder zum Speichern stehen. Statt auf riesige Server-Farmen wie sie Betreiber von Suchmaschinen unterhalten und die viel Strom verbrauchen, vertraut die OSF auf Engagement, Kooperation und Dezentralität. Das LRZ sowie weitere Rechenzentren, Unternehmen und Organisationen stellen zeitweise ungenutzte Computerkapazitäten zur Verfügung: „Wir arbeiten verteilt und gemeinsam in europäischen Rechenzentren mit einem offenen Quellcode“, erklärt Voigt.

Interdisziplinär Suchtechniken entwickeln

Dieses Engagement zieht an: Noch ist die OSF zwar eine Graswurzelbewegung, aber eine die sich international Gehör verschafft. Dank der Kontakte von Mitstreitenden zieht sie weite Kreise vor allem in Wissenschaft und Forschung, in Europa und darüber hinaus. Konferenzen und Workshops zu Fragen rund um das computergestützte Aufspüren von Wissen verbreiten die Idee einer offenen Suche und gleichzeitig Aufgaben zur Technik. Das erste internationale Open Search Symposium fand 2019 am LRZ statt, das dritte startet am 11. und geht bis zum bis 13. Oktober 2021 digital am CERN in der Schweiz. Hier werden neuen Suchtechnologien diskutiert, weitere Aufgaben für den offenen Suchindex besprochen und verteilt und vor allem das Netzwerk und Kontakte gepflegt.

Die Kooperation zwischen OSF und LRZ trägt inzwischen noch mehr Früchte, sie brachte das Thema in europäische Forschungsprogramme: Bei Horizon 2020 ist bereits ein breit angelegtes, interdisziplinäres Projekt geplant, das den Aufbau digitaler Suchtechnologien nach sozialen und ethischen Kriterien fördert und die Bausteine für eine offene Suche in Europa liefern soll. (vs)