Vergangenheit (be)greifbar machen
Virtualisierte Zeitzeug:innen selbst befragen: Das ist das Ziel des Projekts „Lernen mit digitalen Zeugnissen“ (LediZ) der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), das sich im praktischen Test befindet. Das Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) hat für das Team um Professorin Dr. Anja Ballis vom Lehrstuhl Didaktik der deutschen Sprache und Literatur sowie Professor Markus Gloe vom Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft ein Technikpaket aus Laptop, externer Festplatte, 3D-Brillen und -Beamer zusammengestellt, damit die virtuellen Alter Egos von Abba Naor und Eva Umlauf auf Reisen gehen können. Nach einem einwöchigen Aufenthalt in der KZ-Gedenkstätte in Dachau kam LediZ während der Besinnungstage in einem Allgäuer Gymnasium zum Einsatz und wird bald in noch mehr Schulen genutzt: „Mich beeindruckt, dass man das Holocaust-Zeugnis durch Virtual Reality lebendig erhalten kann“, sagt Stefan Dieter, promovierter Historiker und Lehrer für Evangelische Religion, Geschichte und Deutsch am Carl-von-Linde-Gymnasium Kempten. „Schüler:innen können sich Geschichte nicht mehr nur abstrakt durch Bücher oder im Unterricht erarbeiten, sondern mit einer Person, die Vergangenheit erlebt hat, sprechen und interagieren.“
Anfang 2020 wurde LediZ Politik und Öffentlichkeit präsentiert. Damit Naor und Umlauf virtuell von Schüler:innen und anderen Zuschauer:innen über den Holocaust und die Verfolgung von Juden in der Nazizeit befragt werden können, wurden Interviews mit den beiden stereoskopisch gefilmt. Diese Aufnahmen werden nun mit Hilfe einer Sprachsteuerung abgespielt, für die die ursprünglichen Fragen semantisch und linguistisch variiert wurden. Stellen Schüler:innen Fragen, sucht die Steuerung nach den passenden Antworten der räumlich wirkenden, gefilmten Persönlichkeiten. Das wirkt lebendig und natürlich. „Schüler:innen sind heute medienaffiner“, ergänzt Dieter. „Das macht den zusätzlichen Reiz des Lernens mit virtuellen Zeitzeugen aus.“
Noch ist LediZ Demonstrationsobjekt: Das Team bedient die Technik vor Ort. „Wünschenswert wäre, dass Lehrkräfte mit virtuellen Zeitzeug:innen einmal ganz selbstverständlich umgehen können“, meint Daniel Kolb vom Zentrum Virtuelle Realität und Visualisierung (V2C) am LRZ. „Aber aktuell sind wir alle selbst noch am Lernen, verbessern Technik und Ausstattung und beobachten Reaktionen.“ Trotzdem wurde LediZ bereits ausgeweitet. Das Projekt „Lernpfade – Didaktische Innovation für das Klassensimmer“ integriert die digitalen Dialoge in die Lernplattform Moodle, erarbeitet außerdem Unterrichtsmaterialien zur Vertiefung der Gespräche. Angehende Pädagog:innen bereiten sich mit LediZ auf den Unterricht mit digitalen Medien vor.